CNV-STIFTUNG ZUR FÖRDERUNG VON WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Wissenschaftler leiden ständig unter Zeitknappheit.
Wissenschaft betreiben ist ein sehr anspruchsvoller und besonderer Beruf, der sicher nicht allen liegt, und frühe Selbständigkeit erfordert. Das heißt, dass früh in der Karriere bereits die eigenen Ideen und deren Verfolgung und Ausarbeitung eine große Rolle spielen. Bereits bei der Dissertation kommt es entscheidend darauf an, selbst zu bestimmen, was getan, was gelassen wird. Der Wettbewerb ist groß, und es gibt immer mehr zu tun, als man leisten kann und möchte. Ein Beruf also, der hohen Einsatz und hohe Motivation erfordert abgesehen von Begabung, Originalität und Intelligenz.

Die Notwendigkeit ein eigenes Profil zu gewinnen, nimmt im Laufe der Karriere zu. Während die Dissertation wenigstens thematisch noch stark dem Betreuer angerechnet wird, ist die Wahl des Postdoktorandenprojekts und seine Ausführung ganz die eigene Sache, und in der ersten Selbständigkeit entscheidet sich, ob die Wissenschaftler dabei bleiben werden können. Ein 10-14 Stunden-Tag und regelmäßige Laborpräsenz auch am Wochenende sind unter experimentell arbeitenden Wissenschaftlern durchaus üblich.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Fellows in englischen Colleges nicht verheiratet waren das Zölibat wurde wohl verordnet, damit sie ihre ganze Arbeitskraft und Energie der Wissenschaft widmen konnten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, als es die ersten Professorinnen gab, waren diese selbstverständlich nicht verheiratet, und ihr Haushalt wurde von einer Hauswirtschafterin geführt. Männliche Wissenschaftler hatten in der Regel eine Ehefrau, die nicht berufstätig war, und man hatte ja damals noch Dienstboten.

Jetzt sind Dienstboten unüblich und fast nicht bezahlbar. Im Idealfall macht der Mann in einer Partnerschaft im Haushalt mit. Wenn Kinder da sind, ist die körperliche und zeitliche Belastung der Frau generell höher, und die Zeitnot wird für sie praktisch unausweichlich zu einem Problem. Um selbständige Positionen in Forschung und Lehre zu bekommen, ist es einfach notwendig ein gewisses Oeuvre vorweisen zu können, das man bei zu großer familiärer Ablenkung nicht in genügendem Maße zu bringen in der Lage sein mag. Dieses Problem wird nicht selten dadurch gelöst, dass die Frau ihre Karriere der des Mannes unterordnet, das heißt, einen Berufsweg sucht, bei dem sie Familie und Beruf besser verbinden kann einen Beruf, der weniger Energie, weniger Einsatz, weniger Zeitaufwand bedeutet, als der einer selbständigen Wissenschaftlerin. Oder sich ganz gegen Kinder entscheidet. Von Männern ist solch eine Entscheidung in der Regel nicht gefordert, bei den meisten von ihnen ist in der Regel Kinder haben oder nicht haben unbedeutend für die Karriere.

Das sind gewichtige Gründe dafür, dass es sehr wenige Frauen in Führungspositionen gibt, und dass diese sehr viel häufiger kinderlos sind als ihre männlichen Kollegen.

Teilzeit und Berufsunterbrechungen können die Karriere gefährden
Häufig wird gefordert, für Frauen und auch für Männer mehr Teilzeit zu ermöglichen. Auch Erziehungsurlaub mit garantiertem Wiedereinstieg wird propagiert. Das mag in Einzelfällen der richtige Weg sein, oder für kurze Zeit Erleichterung verschaffen. Auch eine längere Krankheit muss ja nicht das berufliche Aus bedeuten, und starke Beanspruchung durch andere Aufgaben, wie Nebentätigkeiten in Firmen, oder Ehrenämter, oder sportliche Hobbies, die zeitraubend sind, lassen sich ja auch bei Männern mit der Berufstätigkeit vereinbaren. Nur ist zu bedenken, dass es sich bei den Tätigkeiten eines Wissenschaftlers um größtenteils individuelle und nicht durch andere ersetzbare handelt. Für solch eine Karriere gilt: es ist das eigene Projekt, das leidet, nicht das des Chefs. Jobsharing geht deshalb oft nicht, weil man die Beobachtungen selbst machen muss, die Bücher selbst lesen muss und nicht erzählt bekommen kann. Der "Halbtags" Doktorandin wird nur das langweiligste Projekt angeboten werden, das keine Eile fordert, sie wird dann in der Gruppe bald nicht mehr für voll genommen werden. Manche Experimente lassen sich gar nicht in einer Teilzeitbeschäftigung durchführen. Längere Berufsunterbrechungen sind gefährlich, da ein Wiedereinstieg unter Umständen nicht gelingt, das Versäumte nicht aufgeholt werden kann, und viel der bereits erworbenen Kompetenz nutzlos geworden sein mag. In der Wissenschaft geht es sehr zügig voran (das ist allerdings sicher in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich), und zwei oder mehr Jahre auszusetzen kann das Aus bedeuten. Natürlich gibt es ungeheuer begabte Leute, die trotzdem wieder in den Beruf kommen, aber ein Neustart ist schwierig, und die Defizite müssen durch übergroße Disziplin und Fleiß kompensiert werden.

Beispiele aus anderen individualistischen Berufen mögen das besser illustrieren: eine Tennisspielerin, die nur halb so viel trainiert wie ihre Kumpaninnen, wird bald nicht mehr in den Turnieren des Clubs mitspielen dürfen. Eine Künstlerin, die zwei Jahre keine Bilder gemalt hat, wird lange keine Ausstellung machen können, und muss um ihren Namen bangen. Eine Musikerin kann, ohne viel zu üben, einen Halbtagsjob der 2. Geige eines Orchesters übernehmen, aber für die Konzertmeisterin ist das nicht möglich, weil sie über individuelle Erfahrungen und Fertigkeiten verfügt, die sie unersetzbar machen. In der Wissenschaft wird, was die Qualität der Forschungsergebnisse anbetrifft, kaum ein Zugeständnis an den individuellen Lebenslauf gemacht werden können. Es ist allerdings weniger problematisch, sich bei der Quantität der Leistungen auf flexible Zeiträume einzustellen.

Zeit ist Geld.
Muss Wissenschaft und Familie sich wirklich gegenseitig ausschließen? Sicher gibt es viele Frauen, die einfach durch die zu erwartende übergroße Arbeitslast abgeschreckt werden von einem Beruf, den sie sonst mit Spaß und Kreativität ausüben könnten und wollten. Ist es gerecht, dass wegen der generell größeren Familienpflichten viele Frauen ein so viel höheres Maß an Motivation und Energie aufbringen müssen? Die Qualifikation zur wissenschaftlichen Karriere ist, biologisch gesehen, ganz unabhängig von der zur Mutterschaft. Gibt es Wege, Frauen diese Entscheidung nicht abverlangen zu müssen, sondern (mehr oder weniger wie bei Männern) allein Eignung, Neigung und Leistung über den Berufsweg zur Wissenschaft entscheiden zu lassen?

Kinder haben ist nicht nur anstrengend und zeitraubend, es ist auch beglückend, und wird von den Frauen, die erfolgreich Karriere gemacht haben, als durchaus lohnend und Gewinn bringend angesehen. Es gibt hervorragende Kindertagesstätten, und es ist unter günstigen Umständen für die Kinder sogar besser, einen großen Teil der Zeit zusammen mit anderen gleichaltrigen Kindern von professionellen Erziehern betreut zu werden, als alleine von einer möglicherweise frustrierten und unzufriedenen Mutter. Die Beteiligung der Väter bei der Kinderbetreuung hat in jüngster Zeit zugenommen,was nicht nur wegen der Entlastung der Frau, sondern auch im Interesse der Kinder, sehr zu begrüßen ist.

Allerdings: Auch wenn ganz klar ist, dass auch jemand anderes den Boden putzen, die Wäsche waschen, das Kind wickeln und die herunter gefallenen Bauklötze aufsammeln kann, das Ganze ist teuer! Ausreichend subventionierte Plätze in Kindertagesstätten, die lange Öffnungszeiten und wenig Ferien haben, sind selten. Aber das ist es ja nicht allein, was Kosten verursacht. Es muss eingekauft, gekocht, geputzt, geflickt werden - kurz der gesamte Haushalt ist belastet. Und Zeit ist Geld, könnte man sich wie früher Kindermädchen oder Haushaltshilfen leisten, wäre alles halb so wild. Dazu kommt in Deutschland etwas ganz Paradoxes: Wenn die Kinder groß sind, haben die Eltern in der Regel genug Geld. Aber sie brauchen es gar nicht: In Deutschland sind Studium und Schule frei. Wenn die Kinder klein sind, sind die Eltern häufig arm- und die Kinderbetreuung ist keineswegs frei, noch nicht mal leicht zu haben, wie in anderen Ländern. Sie ist enorm teuer.

Es zeichnet sich in Deutschland ein Trend ab, der nicht günstig ist: das mittlere Alter der Frauen bei der Geburt ihrer Kinder nimmt signifikant zu. Bei Wissenschaftlerinnen liegt es bei 32 Jahren. Es ist zu vermuten, dass viele Frauen in dem Alter, in dem Kinder bekommen eher der natürlichen Disposition entspricht, diesem Wunsch nicht nachgeben, weil sie sich das nicht leisten zu können glauben. Es ist auch in diesem Beruf nicht eindeutig klar, in welchem Stadium der Karriere eine Unterbrechung, oder ein langsamer Treten, am günstigsten ist. Hat man bereits eine eigene Gruppe und ist selbständig, so ist es vergleichsweise einfach, Laborarbeit zu delegieren, aber die Führung der Mitarbeiter erfordert hohe Präsenz, und die Notwendigkeit, das eigene Profil durch unabhängige Beiträge in Publikationen und Kongressen zu etablieren, ist imperativ. Als Postdoktorandin ist man bereits wesentlich alleine verantwortlich für das Projekt, an dem auch die eigene Originalität, die entscheidend für den weiteren Berufsweg ist, gemessen wird. Vielleicht ist das Studentendasein oder das als Doktorandin der günstigere Zeitpunkt, auch weil das Projekt noch nicht ganz das eigene ist sondern in erheblichem Maße dem Betreuer angerechnet wird. Wenn nicht die Geldknappheit wäre.

Die CNV-Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Forschung macht es sich zur Aufgabe, jungen begabten Frauen mit Kindern den Berufsweg zur Wissenschaftlerin zu erleichtern. Sie richtet sich vor allem an hervorragende angehende Wissenschaftlerinnen in den experimentellen Naturwissenschaften und der Medizin, die wegen der zusätzlichen Belastungen durch Kind/er ihren Berufsweg als Wissenschaftlerin gefährdet sehen. Die CNV-Stiftung fördert Wissenschaftlerinnen aller Nationalitäten, die in deutschen Universitäten und Forschungsinstituten als Doktorandinnen forschen. Es werden Mittel zur Verfügung gestellt, die eine Entlastung im Haushalt und bei der Kinderbetreuung ermöglichen sollen, um Zeit für die wissenschaftliche Arbeit zu gewinnen.

Wir hoffen, mit unserer Stiftung dazu beizutragen, daß sich in Zukunft mehr hochqualifizierte Frauen an der Spitzenforschung in Deutschland beteiligen können.

Christiane Nüsslein-Volhard,
Tübingen, im März 2004